- Winfried Müller, geboren am 30. November 1934 in Oranienburg
- gestorben am 19. Januar 2022 in Berlin-Friedrichshagen
Winfried Müller besuchte von 1940 bis 1945 die Volksschule. Da er mit seinen Eltern und seiner Schwester in der Dienstwohnung des Vaters im Krankenhaus wohnte, erlebte er die Schrecken des 2. Weltkrieges dort hautnah. Zunächst arbeitete er ungelernt in den Elektroapparate-Werken (EAW) in Berlin Treptow im Prüffeld für Rundfunkgeräte, wo er mit Reparaturarbeiten beschäftigt war. Bereits in der Oberschule hatte er großes Interesse für Rundfunkgeräte. 1955 bewarb er sich an der Fachschule für Schwermaschinenbau und Elektrotechnik in Berlin. Winfried bestand die Aufnahmeprüfung, musste jedoch vor dem Studium eine Berufsausbildung zum Mechaniker im Schnelldurchlauf absolvieren. 1958 schloss er sein Studium als Ingenieur im Bereich Funkgerätebau ab und musste zunächst zurück in die EAW. Da die Radioherstellung dort eingestellt wurde, konnte er das Werk verlassen und im Dezember beim Werk für Fernsehelektronik (WF) in Schöneweide anfangen.
Als „Betreuer für Gasentladungsröhren“ arbeitete er dort im Applikationslabor, der anwendungstechnischen Versuchsstelle. Winfried empfand die Arbeit als sehr angenehm: „In unserer Abteilung waren wir nicht anhaltend am Arbeitsplatz gebunden. Wir hatten die Freiheit wegzufahren, auch ins Ausland.“ Durch die Dienstreisen kam Winfried im Laufe der Jahre unteranderem 28 Mal nach Bulgarien. In seiner Abteilung war niemand in der SED oder ein Anhänger der DDR, da man dort die Schwachstellen des Systems gut kannte. „Wir haben uns arrangiert, wir wussten ja können uns dagegen nicht auflehnen. Man hat natürlich erwartet, dass wir zum 1. Mai gehen usw., was aber in der Regel nicht gemacht wurde.“
1959 heiratete Winfried und zog 1961 mit seiner Frau in eine Wohnung der Arbeiterwohnungsbaugesellschaft (AWG) in Köpenick. Sie lebten mit seinem Einstiegsgehalt von 700 Mark und dem Einkommen seiner Frau, die Lehrerin war, in „normalem“ DDR-Standard.
Zur Zeit des Mauerfalls war Winfried auf Kur und verfolgte die Vorgänge im Fernsehen. Trotz der Freude war ihm und seinen Kollegen aus dem Applikationslabor schnell bewusst, dass das WF sich gegen die neue West-Konkurrenz nicht behaupten kann. Im Sommer 1990 wurde Winfried nach 42 Dienstjahren neben rund 6000 weiteren Mitarbeitern aus dem WF Schöneweide per Brief gekündigt. Zwei Jahre arbeitete er daraufhin als Mitarbeiter einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) im WF-eigenen Museum „Technik im Turm“, das er seit Mitte der 80-iger Jahre aufgebaut hatte. Das Werk wurde nach der Wende von der Treuhand verwaltet. Als Winfried im dritten Jahr hätte fest angestellt werden müssen, wurde er gekündigt. 1993 wurde das Werks-Museum von dem neuen Eigentümer Samsung geschlossen.
Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit ging Winfried im Alter von 60 Jahren mit Abstrichen in Rente. Auf Honorarbasis restaurierte er bis 2000 Exponate im Postmuseum.
2009 verkaufte Samsung das ehemalige WF-Werk. Die Exponate des alten Werks-Museums konnten in gemeinsamer Anstrengung gerettet und in den heutigen Industriesalon umgelagert werden.
Zusammen mit ehemaligen Kollegen leistete Winfried Müller hier jahrelang Schwerarbeit: Die verdreckten Regale, Kisten voller Maschinenteile, alte Arbeitstische,
Tausende von Röhren und ein ganzes Werksarchiv wollten gereinigt, sortiert und erklärt werden. So ist es vor allem seinem Engagement zu verdanken, dass die Sammlung aus dem Werk für Fernsehelektronik erhalten und neu präsentiert werden konnte. Im Vorstand des Vereins stellte er von Anfang an die Weichen. Es waren nicht nur sein großes Wissen und seine geduldigen Erklärungen, die den Industriesalon zu einem Informations- und Begegnungsort machten. Winfried Müller wurde zum Mittelpunkt eines großen Freundeskreises, der das WF-Museum im Industriesalon bis heute ehrenamtlich unterstützt.
Wir trauern um die „Seele“ des Industriesalons.
Wenn er im Hause war, dann ordneten sich die Fragen, bekam alles seinen Sinn.
Das Team des Industriesalons verneigt sich vor einem großen Kenner ostdeutscher Technikgeschichte und einem liebenswürdigen Menschen.
Die Beerdigung findet am 24. Februar 2022, um 13 Uhr, auf dem Friedhof in Friedrichshagen statt.
Mit Bestürzung habe ich hier vom Tode von Winfried Müller erfahren. Wir haben tagelang über unser gemeinsames Hobby, die Röhrenhistorie und Röhrenfertigung gefachsimpelt. Er war einer der ersten, der sich Gedanken über ein Röhrenmuseum machte, und das schon zu DDR-Zeiten. Nun ist einer der letzten großen Experten und ein angenehmer Zeitgenosse gestorben.
Danke – und Ruhe in Frieden.
H.-T. Schmidt
Lieber Winfried, wir waren 4 Jahre im Vorstand der GFGF zusammen, haben uns kennen und sehr schätzen gelernt. Wir haben einen sehr wertvollen Kenner der Rundfunktechnik und Beliebten Menschen verloren. Ich verneige mich.
Meine Anteilnahme.
Winfrie Müller war eine „Institution“ im und nun „die“ vom VEB Werk für Fernsehelektronik Berlin zu letzt jetzt hier im Industriesalon.
Ein schaffensreiches Leben ist zu Ende gegangen. Schon zu DDR-Zeiten hatte er zahlreiche Arbeiten in Fachzeitschriften, wie z.B. der „radio fernsehen elektronik“ veröffentlicht, sowie auch einige Fachbücher geschrieben. Damals sind wir uns nie persönlich begegnet, aber in den Nachwende-Zeiten hat er mir dann nahegebracht, wie wichtig das Aufschreiben ist und Institutionen, die das auch bewahren werden. Mit der WF-Historie „Technik im Turm“ und schließlich der Gründung des „Industriesalon Schöneweide“ ist das dann Realität geworden. Wir haben gemeinsam Vörträge organisiert und auch gehalten – und das nicht nur im Industriesalon. Somit wird das Andenken an ihn sicherlich dauerhaft erhalten bleiben.
Natürlich ist es auch die Erinnerung an die vielen gemeinsamen Stunden im Kreise unserer „Alten Herren“ im Industriesalon.
Er war nicht nur ein Kollege aus der Elektronik-Branche, sondern auch immer ein hilfsbereiter Freund.
Wir werden ihn alle sehr vermissen!
Glücklicherweise gibt es in der Mediathek vom Industriesalon u.a. ein Video, wo er die Herstellung von Elektronenröhren erklärt. Somit ist er für immer bei uns …
In stiller Trauer.
Hallo Winnie, mit Bedauern habe ich von deinem Ableben erfahren. Du hast mich mit deinem Enthusiasmus angesteckt und die Schönheit der ‚Röhre‘ nahegebracht. Ich werde die Gespräche mit dir vermissen und die kurze aber schöne Zeit im Industriesalon, die mir viel gebracht hat, nicht vergessen.
Holmer Meier
Mit dem Ableben von unserem Sammlerkollegen Herrn Müller haben wir einen weiteren aktiv tätig gebliebenen Zeitzeugen verloren der noch persönlich den Aufbau dieses besonderen Industriezweiges miterlebt und gestaltet hat. Aber auch einen, der nach der Wende die Möglichkeit und auch den Willen hatte Erinnerungen und Gegenstände dieser Zeitepoche für die Nachwelt zu erhalten.
Es bliebt die Erinnerung und sein Vermächtnis mit dem Museum. Danke für die Arbeit.
WScheida
Wir als Förderverein für die Technischen Sammlungen Dresden hatten einige Kontakte zum Industriemuseum Chemnitz und denken auch gern an gegenseitige Besuche zurück. Als Verein mit einem ähnlichen Schwerpunkt kennen wir das Problem, wenn ein Zeitzeuge stirbt und sein Wissen und Enthusiasmus nicht mehr vefügbar sind. Ich hoffe, dass der Industriesalon Schöneweide das Erbe und Vermächtnis von Winfried Müller erhalten und fortführen kann.
Ein großer Verlust: für den Industriesalon, für die Gemeinschaft der Freunde historischer Technik und historischer Technologien, für die an Industriegeschichte Interessierten und, und, und… Winfried Müller wurde als Gesprächspartner und als Vortragender auch von uns sehr geschätzt. Der Radiostammtisch Frankfurt (Oder) und ich – wir werden uns gern an ihn erinnern.
Das erste Mal bin ich Winfried Müller in dienstlichem Zusammenhang begegnet. Zu Beginn der 1980er Jahre reiste ich mit meinem Chef zum WF, um uns die neuen LED-Lichtschachtbauelemente zeigen zu lassen, die wir in unseren Messmitteln einsetzen wollten. Ich arbeitete damals in der Wareneingangskontrolle des Messgerätewerkes im Funkwerk Erfurt. Danach, so etwa ab 1986, traf ich Winfried in der Interessengemeinschaft Geschichte der Rundfunktechnik am Technischen Museum Dresden. Das war eine kleine Gruppe von etwa 60 Radiosammlern in der DDR. Hier traf ich Winfried gelegentlich und erst nach der Wiedervereinigung und meiner Vereinsgründung des Thüringer Museums für Elektrotechnik 1990 wurde der gedankliche Austausch intensiver. Uns verband ein gemeinsames Ziel: die Industriegeschichte zu bewahren, zu erforschen und erlebbar zu präsentieren (Winfried WF-Berlin und ich Funkwerk Erfurt). Winfried schätzte ich als kompetenten, ausdauernden und stets freundlichen Fachmann. Das für Winfried sicher größte Erlebnis war die Besichtigung einer Windkraftanlage von Innen und noch dazu im Betrieb, eine Enercon E70, im Windpark Möbisburg (22 MW), den ich 2007 vor den Toren Erfurts in Betrieb nehmen konnte. Meine Besuche im Industriesalon waren in den letzten Jahren häufiger, weil interessante Geräte für uns abgegeben wurden. Das war dann auch gleich eine gute Gelegenheit zu einem Treffen und Fachsimpeln mit Winni. Im November 2021 war es mir noch einmal vergönnt, ihn im Pflegeheim zu besuchen. Winni und seine liebe Frau werde ich nicht vergessen. Winfried Müller hat den Zug auf das richtige Gleis gesetzt, die Weichen für die Zukunft gestellt und nun muss der Zug Industriesalon selbst weiter fahren.