Das Museum bin ich (Interview mit Anja Horeld (44 Jahre), Stadtführerin und Counterkraft im Industriesalon Schöneweide)

Der Bezirk Treptow-Köpenick hat im Entwurf für den Doppelhaushalt 2022/2023 keine Fördergelder für den Industriesalon Schöneweide eingestellt. Aufgrund der im Haushalt damit fehlenden 20.000 Euro pro Jahr könnte der Industriesalon am Wochenende keine Kräfte auf Basis eines Minijobs mehr für den Besucherdienst beschäftigen.


Interviewer: Frau Horeld, was würde fehlen, wenn im Industriesalon keine Besucherkräfte mehr beschäftigt würden?

Anja Horeld: Dann wird man das Museum an den Wochenenden wohl schließen müssen. Denn selbst wenn ein Wachdienst die Tür zu Beginn der Öffnungszeit aufschließen und nach vier Stunden wieder abschließen würde, wer soll dann die Besucher betreuen? Ich sitze hier doch nicht nur um das Geld für die Souvenirs zu zählen. Wir geben Auskunft bei Fragen. Vor allem erzählen wir unseren Besuchern die Geschichte des Industriegebiet Oberschöneweide. Das sind über 100 Jahre deutsche Geschichte, von der Industrialisierung, über den Ersten Weltkrieg, die Nazizeit, den zweiten Weltkrieg, die Zeit der DDR bis hin zu Wende und dem Ende der Industriearbeitsplätze in Schöneweide. Wer weiß denn schon, dass hier die AEG gewirkt hat, wichtige Dinge, wie die ersten Farbbildröhren in Deutschland entwickelt und auch wichtige Konsumgüter wie der Rasenmäher Trolli gebaut wurden?! Die Besucher schauen sich zwar gerne die Exponate an, aber nicht jeder will die Texttafeln lesen. Für sie ist es doch viel spannender von uns Gästeführern die Geschichten zu hören, wie die beispielsweise von Walther Rathenau, den einstigen Chef der AEG und späteren deutschen Außenminister, der vor 100 Jahren ermordet wurde. Kurz gesagt: „Das Museum bin ich!“, wenn ich unsere Besucher betreue.

Interviewer: Und welche Auswirkungen hätte es wirtschaftlich für Sie persönlich, wenn durch den Wegfall der Fördergelder, die Minijobs gestrichen werden müssten?

Horeld: Das Finanzielle ist nicht das Entscheidende. Ich würde vielleicht einen neuen Minijob finden. Aber mir würde diese einzigartige Arbeit, der Kontakt zu unseren Besuchern fehlen. Ich schätze an dieser Tätigkeit die Kreativität, die hier von uns gefragt ist, den Besuchern die technische und wirtschaftliche Geschichte des Industriestandorts Schöneweide näher zu bringen. Vor allem aber die Geschichte der Menschen zu erzählen, die hier gearbeitet und gelebt hat.

Interviewer: Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Bezirks Treptow-Köpenick den Industriesalon nicht länger zu fördern?

Horeld: Ich kann die Entscheidung des Bezirks nicht nachvollziehen. Gerade jetzt, wo hier neue Bürostandorte im Behrensbau geschaffen werden, Wohnquartiere für Studenten auf dem Gelände des ehemaligen Transformatorenwerk entstehen sollen, wo gerade während der Coronapandemie immer mehr Besucher uns aufsuchen, fast jedes Wochenende neu Hinzugezogene hierherkommen, um sich über die Geschichte dieses Ortes bei uns zu informieren, ist eine solche Streichung der Förderung vollkommen kontraproduktiv. Und ich frage mich auch, ob dem Bezirk unsere jahrelange Arbeit, die wir hier leisten, wirklich nichts wert ist?!

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